Wenn Little Drummer Boy mehr Schein als Sein ist
Kurz vor Weihnachten bekam ich ein Video zugeschickt. Die Freundin wollte mir einen Gefallen tun und etwas Schönes vermitteln. 5 Menschen singen auf einem Dach in Bethlehem ein Weihnachtslied, „Little Dummer Boy“ (oder „Tamborilero“): ein Araber, ein Palästinenser, ein Italiener, ein Israeli und eine Amerikanerin. Jeder in seiner Sprache „Ein wunderschönes musikalisches Geschenk zu Weihnachten, genieße es.“
Nun ist es zum einen so, dass ich gerade dieses Lied überhaupt nicht mag. Dafür kann sie nichts, ich habe mich bedankt.
Aber es gibt noch ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Araber und einem Palästinenser? Das war die erste Frage, die mir durch den Kopf ging, bevor ich das Video überhaupt startete.
Diese Anmerkung über 5 Nationen und jeder in seiner Sprache geben dem Video den Anschein einer Völkerverständigung und Miteinander. Bis zum Abspann – da sieht man dann anhand der Namen, dass alle fünf Araber sind. Die arabische Übersetzung wurde hervorgehoben.
Hebräisch war übrigens nicht zu hören. Die junge Frau singt anfangs auf Englisch, einer der jungen Männer singt Italienisch. Der Rest ist Arabisch. Sooo weit ist es da mit dem „jeder singt in seiner Sprache“ dann doch nicht unbedingt her; wenn einer davon Israeli ist, dann ist er israelischer Araber und singt auf Arabisch; klar ist ja seine Sprache. Aber nicht das, was mit „ein Israeli“ an Erwartung geweckt wurde.
Außerdem wurde das Video in Bethlehem aufgenommen, ein Jude hätte da nicht mitmachen können, denn es ist PA-Gebiet – Juden verboten.
Ich habe das Video auf YouTube gefunden, dort ist es zweimal eingestellt. Einmal ist die Kommentarfunktion abgeschaltet, man bekommt ein paar Informationen: die Namen der Sänger, wer den arabischen Text verfasst hat, wer es arrangiert hat – und die Produzenten, zu denen die Stadt Bethlehem gehört, und „Podcast: RJ Music – Palestine“. Wenn „Palestine“ drinsteckt, dann ist leider nicht wirklich Vielfalt zu erwarten.
Beim zweiten Video ist mehr zu erfahren. Der gesamte Text wird mitgeliefert – anfangs Englisch, dann Arabisch, Italienisch und zweimal wieder Arabisch. Hatte ich also richtig gehört. Die Sänger werden auch noch einmal vorgestellt; und erneut wird bestätigt: „Englisch“, „Arabisch“, „Italienisch“, „Arabisch“, „Arabisch“. Als gesungene Sprachen, nicht als Nationalitäten.
In den Kommentaren kommen dann die Lobeshymnen. Musikalisch ist das alles berechtigt. Aber da kommt auch mehr, Sachen wie: „Wie schön. Wir können zusammenleben und einander lieben.“ Oder: „Ein super Lied das wieder mal zeigt das unterschiedliche Kulturen in Verbindung mit Musik sich doch nah sind, mehr davon.“ [Bitte nicht über Fehler schimpfen, dieser Satz ist kopiert, wie er dort steht.] Der „Höhepunkt“ war dann: „Unbestreitbarer Beweis, dass Islam und Christentum dieselben Wurzeln haben. Bitte lasst euch durch niemanden täuschen.“
Ich würde sagen: Ziel erreicht. Zumindest bei den Leuten, die da kommentiert haben. „Lasst euch nicht täuschen“? Nun, Täuschung gelungen.
Das ist kein Video, das das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen demonstriert. Alle fünf sind Araber. Die wohl „zufällig“ in unterschiedlichen Ländern leben und vielleicht deren Staatsbürgerschaft haben, aber mehr auch nicht. Fünf arabische Christen, die für ein Video auftreten, das Propaganda ist: „Seht her, international, alle gehören zusammen. Fühlt euch gut.“ Und das eben nicht inklusiv ist. Wenn fünf Araber, auch wenn sie in unterschiedlichen Ländern leben und vielleicht auch aufgewachsen sind, zusammen singen, sind das keine kulturell sonderlich diversen Leute.
Wenn die Stadt Bethlehem für das Video mitverantwortlich zeichnet, dann ist das auch kein Versuch inklusiv zu sein. Bethlehem ist die Weihnachts-Propagandahauptstadt der palästinensischen Autonomiebehörde, war es schon zu Arafats Zeiten, wenn der „Rais“ sich dort zum Beispiel in die Weihnachtsmesse setzte und inszenierte, um der Welt zu zeigen, wie stolz man als „Palästinenser“ auf die Christen im Land ist – nur um sie den Rest des Jahres so zu schikanieren, dass der christliche Bevölkerungsanteil der Stadt von über 80% Anfang der 1990-er Jahre auf heute 12% gesunken ist und weiter abnimmt. An Weihnachten wird eine Riesenshow abgezogen. Danach ist wieder antichristlicher Alltag.
Mit dem Video wird uns Sand in die Augen gestreut. Und das ist gelungen: „Islam und Christentum haben dieselben Wurzeln“? Gut, welche sind das? Das Judentum? Sollte man in Bethlehem lieber nicht sagen.
Meine Vorstellung von internationalem Zusammenleben und Zusammenleben der Kulturen sieht da etwas anders aus. Ich hätte mir vorgestellt, dass Christen unterschiedlicher Denominationen, mit Muslimen und Juden gesungen hätten, um tatsächlich Toleranz füreinander zu zeigen. Einmal was zu Weihnachten, etwas zu Hanukkah und bestimmt hätte sich auch etwas zu einem islamischen Fest finden können. DAS wäre inklusiv gewesen, kulturell übergreifend; hätte die Möglichkeit von Zusammenleben demonstriert. Selbst in Bethlehem. Oder Ramallah.
Eine andere Form von Vielfalt hätte auch sein können, wenn hier verschiedenen christliche Denominationen gemeinsam gesungen hätten, z.B. griechisch-orthodox, armenisch, syrisch-orthodox, katholisch, lutherisch oder was auch immer. Aber dazu gibt es keine Angaben. Wo ist die kulturelle Vielfalt, die da vermittelt werden soll? Es gibt sie nicht.
Dieses Video ist mehr Schein als Sein. Es soll einen Eindruck vermitteln, den es oberflächlich hergibt, aber sobald man nur ein wenig kratzt, wird deutlich, dass es das nicht hergibt, was es sein soll. Ein Lied wird gesungen und „Informationen“ dazu gestreut, die täuschen. Ich bin nicht so festbesoffen, dass mir das nicht aufstößt.
Mein Weihnachten möchte ich anders haben. Ohne Propaganda. Ehrlicher.